Lesen Sie hier die von Claus Dieckow 2007 verfasste Abhandlung zur Geschichte einer VT 95-Garnitur bei der Almetalbahn. Auch in der jüngsten Zeit (2019) wurde die Almetalbahn des Öfteren auf den Verbleib dieser Fahrzeuge oder generell auf die Anschaffung von Triebwagen angesprochen. Auch wenn Triebwagen spätestens ab der Errichtung des Endpunktes Grundkamp und der damit verbundenen besseren Möglichkeiten zur Durchführung von Fahrtagen bei uns sinnvoll einsetzbar wären, fehlen aktuell die Geldmittel und Unterstellmöglichkeiten, sodass die Anschaffung eines Triebwagens im Moment nicht vorgesehen ist. Lassen Sie uns also einmal in eine Epoche zurückblicken, in der eine VT 95-Garnitur durch das Almetal brummte.
Pünktlich zum Weihnachtsfest 2007 erscheint über den Modellbahn-Händler-Verband „EUROTRAIN“ eine limitierte Sonderedition des Uerdinger Schienenbusses VT 95 9256 (später 795 256-7). Für uns Anlass genug, allen Interessierten einige Hintergrundinformationen über das Fahrzeug, seine Lackierung und seinen Einsatz bei der Almetalbahn zu geben.
795 256-7 wurde im Jahr 1953 als VT 95-9256 von der Waggonfabrik Uerdingen im Zuge der ersten Bauserie der Baureihe VT 95 gebaut. Charakteristisch für diese Fahrzeuge ist das nachträglich als Scheinwerfer auf das Dach gesetzte Spitzensignal, sowie die später verschlossenen Oberlichtfenster an den Stirnseiten. Der Triebwagen wurde im Laufe seiner 23-jährigen Karriere bei der Bundesbahn ausschließlich im süddeutschen Raum eingesetzt. Letzte Einsatzstelle vor der Ausmusterung war das Bw Hof. Er wurde nach seiner Ausmusterung 1976 von der Arbeitsgemeinschaft Historische Eisenbahn e.V. erworben und unter der Betriebsnummer AHE 21 in den Fahrzeugpark eingereiht. Kurz darauf versah man ihn mit dem charakteristischen Schriftzug „ALMETALBAHN“ an den Seitenwänden, sowie einer elfenbeinfarbigen Lackierung im Bereich der Fensterbänder. In dieser Lackierung war das Fahrzeug von 1976 bis 1987 im Einsatz. Im Zuge der danach erfolgten Aufarbeitung wurde der Wagenkasten wieder komplett in RAL 3004 lackiert (gemäß der Bundesbahnlackierung). Der seitliche „ALMETALBAHN“-Schriftzug wurde nicht mehr erneuert.
Für die damalige Zeit war der Erwerb eines derartig „modernen“ Fahrzeugs durch eine Museumseisenbahn sehr ungewöhnlich, wurden doch die letzten Fahrzeuge der Gattung VT 95 erst im Jahr 1980 bei der damaligen Deutschen Bundesbahn ausgemustert. Nach der gerade erfolgten Übernahme der Eisenbahnstrecke Bodenburg-Segeste und der Möglichkeit der Nutzung des Streckenabschnittes bis Sibbesse benötigte der Verein jedoch kurzfristig ein betriebsfähiges Fahrzeug zur Aufnahme eines Museumsbahnbetriebes. Dies war mit dem zu dieser Zeit im Verein vorhandenen Fahrzeugpark nicht möglich. Außerdem dachte man vorausschauend an den Erhalt eines Exemplars einer bereits aussterbenden Fahrzeuggattung. Gemeinsam mit dem VT wurde noch der Beiwagen 142-295 (später 995-295/AHE – Nr. 22) erworben. Dieser erhielt ebenfalls einen gleichartigen „ALMETALBAHN“-Schriftzug an den Seitenwänden, sowie ein Flügelrad an den Stirnseiten, jedoch kein elfenbeinfarben abgesetztes Fensterband.
Die Triebwagengarnitur kam vom AW Kassel über die Schiene zunächst nach Hildesheim und wurde etwas später nach Bodenburg überführt. Dort angekommen stellte man fest, dass offensichtlich im Zuge der Überführungsfahrt im Schlepp einer Diesellokomotive der Triebwagen über eine längere Strecke mit festgezogener Bremse gezogen worden war, so dass er mächtige Flachstellen aufwies. Da die Verbindungen zur damaligen DB sehr gut waren, wurde der Triebwagen kurzerhand wieder abgeholt und ins AW Braunschweig gebracht, wo er einen Satz frisch aufgearbeiteter (!) Achsen erhielt – selbstverständlich kostenlos! Bei seiner zweiten Ankunft in Bodenburg war alles mangelfrei, so dass das Fahrzeug sofort einsatzbereit war. Nachdem einige Vereinsmitglieder die entsprechende Triebfahrzeugprüfung abgelegt hatten, konnte im November 1976 anlässlich des 75 jährigen Jubiläums der Strecke Bodenburg-Sibbesse der planmäßige Museumsbahnbetrieb aufgenommen werden. Die Arbeitsgemeinschaft Historische Eisenbahn e.V. (Almetalbahn) war somit der erste Eisenbahnverein Deutschlands mit eigener regelspuriger Strecke.
In der Saison 1977 versah je nach Bedarf der Triebwagen allein oder die Garnitur den Museumsbahndienst. Aus den eingefahrenen Einnahmen finanzierte man neben den Anschaffungskosten weiterhin die Aufarbeitung dreier Personenwagen und der Dampflokomotive T3 (DL 16), die ab Sommer 1978 eingesetzt werden konnte.
Ebenfalls 1978 wurde noch ein zweiter Beiwagen (142-526/AHE-Nr. 24) beschafft. Dieser erhielt jedoch keine weiteren Schriftzüge oder Anstriche. Lediglich die DB-Kekse und DB-Nummern wurden rot übergestrichen. Geplant war, die Garnitur AHE Nr. 21, 22 und 24 als „Bäder-Express“ zwischen Bad Salzdetfurth und Bad Gandersheim regulär einzusetzen. Tatsächlich fanden 1979 an zwei Wochenenden Probefahrten statt. Es zeigte sich jedoch, dass der Triebwagen mit der Last von zwei vollbesetzten Beiwagen den Steigungen nicht recht gewachsen war. So fand bereits die zweite Fahrt nur noch mit der Garnitur AHE Nr. 21 und AHE Nr. 22 statt. Leider konnte ein regulärer Fahrbetrieb als „Bäderexpress“ nicht realisiert werden. Die Strecke zwischen Bodenburg und Bad Gandersheim wurde im Zuge des Baus der Schnellbahnstrecke Hannover-Würzburg bei Lamspringe getrennt und später komplett abgebaut. Heute befindet sich hier ein Radweg.
Weitere Verwendung für den VT 95 fand sich anlässlich der Betriebstage, an denen er als erster und letzter Zug des Tages fuhr. Die beiden Beiwagen wurden an den jeweiligen Streckenenden in Bodenburg und Sibbesse als Unterkunft für das Personal aufgestellt, da es in den ersten Betriebsjahren der Almetalbahn ansonsten keine Unterstellmöglichkeit gab.
Ab 1984 wurde der Museumsbahnbetrieb bis Bad Salzdetfurth verlängert, nachdem Ende 1983 der nicht vereinseigene Abschnitt Streckenkilometer 5,05 – Sibbesse als weiteres Opfer der Schnellbahnstrecke Hannover – Würzburg abgebaut worden war. Da der Abschnitt Bodenburg – Bad Salzdetfurth auf Grund des bis 1985 auf allen DB-Strecken herrschenden Dampflokverbotes nur mit Diesel befahren werden durfte, entwickelte die Almetalbahn in den Jahren 1984-1991 einen sehr vielseitigen Dreizugbetrieb: Zwischen Bad Salzdetfurth und Bodenburg – V20 022 (VL 6) und zwei Personenwagen, zwischen Bodenburg und Almstedt-Segeste – Dampflok T3 (DL 16) und drei Personenwagen, sowie zwischen Almstedt-Segeste und Kilometer 5,05: VT 95 (AHE Nr. 21). Daneben konnte der Triebwagen auch außerhalb der Fahrtage für Sonderfahrten gemietet werden. Die Beiwagen dienten inzwischen nicht mehr dem regulären Fahrbetrieb, sondern als Unterkunft für die Vereinsmitglieder, bzw. ABM-Leute. So wurde der Beiwagen AHE – Nr. 24 regelmäßig im Zuge von Ausholzarbeiten mit auf die Strecke genommen. Im Frühjahr 1987 wurde das im Einschnitt bei Breinum abgestellte Fahrzeug durch Vandalismus schwer beschädigt. Unter anderem wurden fast sämtliche Scheiben zerstört. Glücklicherweise konnte Ersatz aus dem damals noch die VT 98 betreuenden AW Kassel besorgt werden.
Letztendlich waren jedoch Triebwagen und Beiwagen durch den auf Dampf- und Dieselbetrieb verlagerten Schwerpunkt schon längst an den Rand gedrängt worden. Auf Grund des noch dazukommenden Ausbaus des Museumsbahnhofs Almstedt konnten nur die wichtigsten Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden. Eine dringend notwendige Aufarbeitung war jedoch aus Kapazitätsgründen ausgeschlossen. Nach Einstellung des Fahrbetriebs im Jahr 1991 wurde deshalb beschlossen, die Fahrzeuge zu verkaufen. So wurde 1993 der Beiwagen AHE Nr. 24 an die Eisenbahnfreunde Fr. Le. abgegeben.
1995 erfolgte nach Besichtigung der Fahrzeuge AHE Nr. 21 und 22 durch mehrere Interessenten der Verkauf an die Eifelbahn. Die letzte Fahrt bei der Almetalbahn zum Endpunkt km 5,05 und schließlich als Garnitur zur Zuckerfabrik nach Östrum im September 1995 absolvierte der Triebwagen mit eigener Kraft unter großer Anteilnahme der Vereinsmitglieder und aller Interessierten, die sich dem Fahrzeug verbunden fühlten.
Trieb- und Beiwagen wurden mit einem „Culemeyer-Straßentransporter“ abgeholt und in die Eifel gebracht. Dort erhielten die Fahrzeuge eine grundlegende technische und optische Aufarbeitung. Heute kann man die im besten Erhaltungszustand befindliche Garnitur im Betrieb in der Eifel erleben.
Folgend noch einige Bilder in Erinnerung an die Betriebsjahre des VT 95 bei der Almetalbahn.
AHE Nr. 21 und 22 unmittelbar nach der (ersten) Ankunft in Hildesheim Anfang 1976. Noch tragen die beiden Fahrzeuge die Bundesbahnanschriften.
(Bild: W. Voss)
Nach seiner Rückkunft mit neuen Achsen sieht man auf dieser in Bodenburg entstandenen Aufnahme die Garnitur bereits mit „ALMETALBAHN“-Anschriften und den VT mit elfenbeinfarben abgesetzten Fensterbändern.
(Bild: G. Prikowski)
Das Betriebsjahr 1977 wurde mit der Garnitur VT/VB gefahren. Ebenfalls erkennbar:
Unsere ehemaligen Fahrzeuge dürften die einzigen Uerdinger Triebwagen mit 3. Klasse-Beschriftung gewesen sein…
(Bild: AHE – Archiv)
Umsetzen in Sibbesse (1977). Auch wenn es hier anders wirkt, so war nur der VT zweifarbig gestrichen, wenngleich dies dem Beiwagen optisch sicher auch gut gestanden hätte… Rechts im Bild der mittlerweile an VVM Aumühle abgegebene und dort in Aufarbeitung befindliche Abteilwagen
(Bild: G. Prikowski)
Unterwegs als „Bäder-Express“ auf der Strecke Bodenburg – Bad Gandersheim.(1979)
Auch wenn es letztlich nur eine Episode blieb, so war doch der Ansatz, beide Kurorte mit dem Museumstriebwagen zu verbinden, durchaus lobenswert.
(Bild: P. Leinemann)
Trauriger Anlass:
Wieder einmal war der „Retter der Nebenbahnen“ auch gleichzeitig das letzte Schienenfahrzeug vor dem Abriss einer Nebenbahnstrecke.
Abschiedsfahrt Streckenabschnitt km 5,05 – Sibbesse (November 1983)
(Bild: AHE – Archiv)
1987 erhielt der Triebwagen eine Neulackierung in Ral 3004. Einzige Erinnerung an den zweifarbigen Anstrich blieb aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen eine Falttür.
(Almstedt-Segeste, Sommer 1987)
Acht Jahre später hatte man sich schweren Herzens dazu entschlossen, die VT 95-Garnitur zu verkaufen. Ein letztes Mal konnte Sie im September 1995 vor dem Bahnhofsgebäude von Claus Dieckow abgelichtet werden, bevor es nach Bodenburg zur Verladung ging. Damit endete bis auf Weiteres der Einsatz von Triebwagen bei der Almetalbahn. Wir freuen uns jedoch sehr darüber, dass unser ehemaliger VT nach seiner umfangreichen Aufarbeitung bei der Eifelbahn nun wieder für Museumsfahrten zur Verfügung steht.