Der folgende Text schildert ein Ereignis, wie es bei einer Museumsbahn hin und wieder vorkommen kann: eigentlich soll nur eine Kleinigkeit erledigt werden, die sich dann aber als ein größeres, spannendes Unterfangen herausstellt. Wie diese „großen Kleinigkeiten“ aber mit Glück und vereinten Kräften gewuppt werden können, hat Peter Leinemann 1982 im Folgenden dargestellt.

12.3.1982
Am Abend unserer Hauptversammlung kam die Runde kurz auf unser gutes Stück, die Kö I, zu sprechen, die doch bei der ALMETALBAHN alle Rangierarbeiten auszuführen hat. Lokführer J. Bokelmann: „Unser Abnahmeingenieur besteht darauf, dass noch Griffstangen angebracht werden…“, und desweitern versprach Peter Leinemann, sich um die Einstellung der Kupplungen für das Getriebe zu kümmern.

Samstag 20.3.82
Peter Leinemann nimmt die Kö I in Augenschein und muss feststellen, dass eine weitere Verstellung der Kupplungen nicht mehr möglich ist – das Getriebe hat einfach ausgedient und muss repariert oder erneuert werden – Panik! Am 02. 05. 82, also in etwa 6 Wochen soll doch der Saisonbeginn stattfinden!

Viele sind sehr pessimistisch:
„Ein neues Getriebe wird wohl kaum noch aufzutreiben sein…“

Montag, 22.3.82
Ein vielfaches Dankeschön an eine pfiffige Mitarbeiterin in der Telefonzentrale des Ausbesserungswerkes (AW) in Bremen. Denn sie verbindet Peter Leinemann bei seinem Anruf mit dem richtigen Mann, der in seinem Bereich noch ein paar alte Getriebe „an die Seite gebracht hat“ und Eisenbahnfreunde hier und da mit diesen Raritäten unterstützt.

Dienstag 23. bis Freitag 26.3.
Tägliche Telefonate mit dem Ausbesserungswerk an der Weser:
Wird eines der dort vorhandenen Getriebe passen?
Was soll der Spaß kosten?
Wie sollen wir das schwere Getriebe kostengünstig transportieren?

Nachdem feststeht, dass wir im AW ein neues Getriebe zu einem annehmbaren Preis bekommen können, muss ein neues Problem gelöst werden:
Wie bekommen wir das alte Getriebe mit unseren paar Leuten aus der Lok heraus?
Laut Betriebsbuch wird das Getriebe nach unten herausgenommen.

Zufällig hat der damalige Vorsitzende Wolfgang Dieckow vor wenigen Tagen auf der Domäne Marienburg mit dem Verwalter abgesprochen, dass unser Verein die noch im Bahnhofsbereich Marienburg liegenden Feldbahngleise sowie Loren abtransportieren darf.
Wir kamen daher auf die Idee, die Lok mit Hilfe der Hebeböcke anzuheben, die Lore unter die Lok zu rollen, das Getriebe aus der Lok zu lösen und auf der Lore herauszurollen.

Samstag, 27.3.82
Und jetzt zeigt sich wieder, dass auch ein kleiner Pkw-Hänger sehr wertvolle Dienste für die Bahn leisten kann: ein Paar Feldbahngleise werden auf dem Hänger verlegt – ein Paar Gleise kommen davor als Rampe, und schon ist es nur zwei Leuten möglich, eine Lore auf einen Pkw-Hänger zu schieben! In Almstedt wird das Spielchen in umgekehrter Reihenfolge wiederholt.

Anschließend beginnt Peter Leinemann mit der Demontage des alten Getriebes und nach genauer Begutachtung der Lok ist er sehr enttäuscht: die Angaben im Betriebsbuch beziehen sich auf eine andere Bauform, so dass die „geniale“ Ausbaulösung nicht mehr funktioniert. Unterhalb des Getriebes befindet sich quer eine kräftige Rahmenversteifung. Einziger Ausweg: das Getriebe muss innerhalb der Lok zerlegt und ausgebaut werden!
Mit einem orangeroten Monteuranzug beginnt Peter Leinemann die Aktion – später fand man am Anzug kein einziges rotes Fädchen mehr…

Sonntag, 28.3.82
Der Vereinskamerad H. Lampe feiert seinen Geburtstag. Als das Gespräch auf den Transport des Getriebes kommt, bietet er hierfür spontan seinen zuverlässigen VW-Bus an!

Mittwoch, 31.3., und Donnerstag, 1.4.82
H. Lampe mit Sohn und Peter Leinemann fahren im VW-Bus am 31.3.82 abends nach Bremen, besuchen noch Bekannte und dort wird auch übernachtet.

Am 1. April 1982, morgens gegen 10 Uhr, erscheinen die drei Almetalbahner im AW und sind überrascht zu sehen, dass der eisenbahnbegeisterte Meister dort ca. 12 Dieselloks vor der Verschrottung gerettet hat. Es gab eine spontane Führung. Nur durch solche Eigeninitiativen ist es auch bei der DB möglich, eine Art Denkmalspflege zu unterstützen.

Von 3 vorhandenen Getrieben war am Telefon immer die Rede gewesen, die für uns infrage kommen könnten. Jetzt sehen wir, dass nur ein einziges passen kann – und dieses Getriebe ist nur noch vorhanden, weil die Maschine, für die es wieder aufgearbeitet worden war, vor dem Neueinbau verunglückt ist!
Die Aktion „neues Getriebe“ scheint jetzt also für die ALMETALBAHN unter einem guten Stern zu stehen.

Schon auf der gut zweistündigen Rückfahrt von Bremen beginnt Peter Leinemann, das neue Getriebe zu zerlegen. In Bremen hatte ein Gabelstapler mit dem Einladen keinerlei Schwierigkeiten gehabt, doch in Almstedt gibt es nur ein paar einsatzbereite Männerarme…
Gegen 16 Uhr nachmittags wird in Almstedt mit Unterstützung von Lampes und einiger zufällig Anwesenden das schwere Getriebe aus dem Bus gewuchtet. Die Lore aus Marienburg kommt nun doch noch zum Einsatz: ihre Oberkante hat genau dieselbe Höhe wie der Fußboden im VW-Bus, und die Männer brauchen keine Angst zu haben, dass ihnen das Getriebe auf die Füße fällt…

Samstag, 3.4.82
In der Kö I muss Platz für das neue Getriebe geschaffen werden, und so werden die schweren alten Getriebeteile unter Einsatz der kräftigsten Männer aus der Lok gehoben (Gesamtgewicht: 910 kg, bestehend aus 5 Teilen). Nur die unterste Wanne bleibt in der Lok.
H. Bokelmann zeigt, dass er Kräfte für Drei hat – sehr praktisch bei dem ohnehin herrschendem Gedrängel in der kleinen Lok!

Samstag, 10.4.82
Osterfeuer in Sibbesse mit allgemeinem Umtrunk und Sammelaktion für das Getriebe: 3/4 der Kosten sind durch Spenden gedeckt worden! Die Verbundenheit der Bevölkerung mit unserem Verein gibt zusätzlichen Elan!

Samstag, 17.4.82
Heute stehen dieselbe Knochenarbeiten wie vor 14 Tagen auf dem Programm – die neuen Teile werden in die Lok gehoben. Nachdem das letzte schwere Teil an   seinem Platz ist: allgemeines Aufatmen und Glieder recken – ohne den guten Gemeinschaftsgeist in unserem Verein wäre eine derartige Leistung nicht denkbar gewesen!

Dienstag, 20.4.82
Peter Leinemann beginnt mit dem Verschrauben des neuen Getriebes.

Mittwoch, 28.4.82
Soll die Aktion jetzt noch an 3 fehlenden Schrauben scheitern? Enttäuscht erzählt Peter Leinemann zu Haus, dass ihm 3 Schrauben fehlen, die zur Fertigstellung unbedingt notwendig sind. Eisenbahnfreundin Gisela zeigt Verständnis: „Die besorge ich Dir in der Stadt, dann kannst Du morgen Abend weiter machen…“ Doch bei Stulle (Anm.: großer ehemaliger Eisenwarenhändler) stößt die Suche schon auf Schwierigkeiten: „Dieses alte Zollgewinde treiben Sie hier in der Stadt nicht mehr auf, vielleicht bei den Engländern – oder fragen Sie mal bei Fa. Müffelmann.“ (Anm. Fa. Müffelmann war gegenüber dem heutigen Wasser-Paradies, in der Nähe des jetzigen Tanzhaus Buresch).
Die Engländer hatten schon damals keine richtige Werkstatt mehr, daher ohne Erfolg.
Fa. Müffelmann kann die Schrauben neu anfertigen, möchte dafür für 2 Schrauben aber für unseren Verein happige 60,– DM haben!
Nun zeigt sich, dass es manchmal Zufälle gibt, daran kann man fast nicht glauben.
Zufällig ist gerade ein guter Freund von Peters Vater auch in der Firma Müffelmann, um wiederum seinen Freund, den Meister zu besuchen. Da er ja um unsere Eisenbahn Bescheid weiß und sich auch bei Müffelman ein klein wenig auskennt, überredet er den Meister doch noch einmal auf dem Dachboden in den alten Kisten und Regalen zu suchen. Wo er dann tatsächlich noch zwei alte Schrauben mit Zollgewinde auftreibt. Hurra!! Die 3. fehlende Schraube war einfach zu bekommen, sie hatte Normalgewinde. Abends in Almstedt stellt Peter Leinemann erleichtert fest, dass die mitgebrachten Schrauben auch wirklich passen.

In Geduldsarbeit stellt er jetzt die 3 Kupplungen ein, lässt den Motor an – es funktioniert!!

Samstag 1.5.82
In Gemeinschaft werden noch die zwei Ketten eingesetzt. H. Lampe ölt die gesamte Angelegenheit so gründlich, dass Peter Leinemann ein regelrechtes „Ölbad“ beim weiteren Einbau nehmen darf.
17 Uhr:
J. Bokelmann lässt die Lok an und fährt sie das erste Mal.
Der Saisonbeginn ist gerettet!

2.5.82 Betriebssonntag
Peters Monteuranzug wird in unserer T 3 verbrannt, die dunkle Rauchfärbung aus dem Schornstein sagt alles.

Autor: Peter Leinemann, 1982
Bearbeitet durch: Oliver Schaer, 2020